Der Monte Rosa ist das zweithöchste Gebirgsmassiv der Alpen und liegt auf der Grenze zwischen dem Schweizer Kanton Wallis und den italienischen Regionen Piemont und Aostatal in den Walliser Alpen. Sein Hauptgipfel, die Dufourspitze, ist mit 4.634 Metern zugleich der höchste Berg der Schweiz. Zudem befinden sich im Monte Rosa acht weitere Viertausender (nach der UIAA-Liste). Das Massiv wartet mit weiteren Rekorden auf: Die 2.400 Meter hohe Monte Rosa-Ostwand ist die höchste Gebirgswand der Alpen und mit der Capanna Margherita auf dem Gipfel der Signalkuppe (4.554 m) findet man hier auch das höchstgelegene Gebäude Europas.
Unsere Tour schloss sich direkt an die Besteigung des Gran Paradiso an. Mit der Vincent-Pyramide, der Ludwigshöhe, dem Schwarzhorn, der Parrotspitze, der Signalkuppe und der Zumsteinspitze wollten wir hier sechs Viertausender in drei Tagen besteigen, dazu auch das Balmenhorn, das aber zumindest offiziell nicht als eigenständiger Gipfel gilt. Alle Gipfel sind relativ einfach zu erreichen, die Touren bewegen sich im Schwierigkeitsgrad PD nach der SAC-Hochtourenskala.
Nachdem wir von der Hütte am Gran Paradiso abgestiegen waren, fuhren wir weiter nach Staffal im Val de Gressoney. Hier nahmen wir die Bergbahn bis zur Station Punta Indren (3.275 m) und stiegen von dort über den Lysgletscher zur Capanna Gnifetti  (3.647 m) auf. Die Tour fing für mich ziemlich suboptimal an: Vom Gran Paradiso war ich noch etwas erschöpft gewesen, was ich aber erst während der Autofahrt ins nächste Tal merkte. Die Hitze dort, den großen Höhenunterschied zwischen Rifugio Chabod am Gran Paradiso, der Talstation und der Bergstation der Bergbahn sowie den sehr schnellen Aufstieg zur nächsten Hütte auf über 3.000 Metern vertrug ich nicht ganz so gut. Ergebnis: Höhenkrankheit, Kopfschmerzen, leichte Dehydrierung. Da half nur viel zu trinken und zu schlafen.
Aussicht von der Capanna Gnifetti
Aussicht von der Capanna Gnifetti
Val de Gressoney
Val de Gressoney
Am Abend fühlte ich mich schon deutlich besser und am nächsten Morgen waren die Kopfschmerzen fast weg. Ich hatte noch leichte Zweifel, ob ich so das Programm, das anstand, schaffen würde. Nach nur fünf Minuten Bewegung an der frischen Luft lief jedoch alles wieder bestens.
Der erste Gipfel an diesem Tag sollte die Vincent-Pyramide (4.215 m) sein. Während wir am Gran Paradiso noch vier Leute plus Bergführer waren, hatte sich die Anzahl der Teilnehmer mittlerweile auf zwei reduziert. Einer der anderen beiden hatte schon im Zustieg zur Hütte am Gran Paradiso gemerkt, dass ihm die Kondition fehlte, und brach auch die Besteigung einen Tag später bei der Hälfte ab. Der zweite hatte im Abstieg vom Gran Paradiso Probleme und spürte am nächsten Tag Schmerzen in den Knien, sodass auch er die Tour abbrach. Aus diesem Grund änderte unser Bergführer Thomas spontan die Route. Statt über den Normalweg zur Vincent-Pyramide aufzusteigen, kletterten wir über den Südwestgrat (III) zum Gipfel. Die Kletterei war technisch nicht sehr anspruchsvoll, der Fels war aber stark vereist, zudem lag etwas Neuschnee. Hier musste man gut aufpassen, nicht abzurutschen. Teilweise hatten wir auch mit losem Gestein zu kämpfen. Einmal löste sich ein größerer Brocken, der jedoch zum Glück nicht weit fiel.
Ansonsten war die Kletterei sehr schön, für mich das Highlight der gesamten Tour. Vom Grat hatte man einen interessanten Blick hinunter auf den Gletscher, wo wir die Seilschaften auf dem Normalweg beobachten konnten, und rüber zum imposanten Liskamm. Am Ende des Grates schlossen sich noch wenige Meter Gehgelände zum Firngipfel an. Die Stimmung am Morgen war mal wieder phänomenal. Als sich der Himmel gerade gelblich färbte, erreichten wir bereits den Gipfel der Vincent-Pyramide. Von hier konnten wir nun auch die nächsten Ziele dieses und des nächsten Tages sehen.
Über den Südwestgrat auf die Vincent-Pyramide
Über den Südwestgrat auf die Vincent-Pyramide
Liskamm mit Lysgletscher
Liskamm mit Lysgletscher
Blick von der Vincent-Pyramide auf Schwarzhorn, Ludwigshöhe, Parrotspitze und Signalkuppe
Blick von der Vincent-Pyramide auf Schwarzhorn, Ludwigshöhe, Parrotspitze und Signalkuppe
Morgenstimmung
Morgenstimmung
Von der Vincent-Pyramide stiegen wir schnell ab, bergab auf griffigem Schnee kann man gut Gas geben. Weiter ging es zum Balmenhorn, eine kleine Felsinsel, die sich nur unwesentlich vom Lysgletscher abhebt. Dieses ist sehr leicht über wenige Eisenstifte zu erreichen. Auf dem Balmenhorn steht eine mehrere Meter große Christusstatue. Wir legten hier eine kurze Pause ein, die ich nutzen wollte, um meine Sonnenbrille aus dem Rucksack zu holen. Mittlerweile stand die Sonne relativ hoch und da auf einem Gletscher das Licht von allen Seiten reflektiert wird, ist ein Augenschutz hier unerlässlich. Für Hochtouren bieten sich insbesondere Gletscherbrillen an, die deutlich weniger Licht als normale Sonnenbrillen durchlassen. Ohne Schutz könnte es sonst zur sogenannten Schneeblindheit kommen.
Entsprechend groß war meine Panik, als ich die Brille nicht in meinem Rucksack fand. Dann müsste sie in der Jackentasche sein, dachte ich. Da lag aber nur die Stirnlampe, also hatte ich womöglich die Gletscherbrille auf der Hütte vergessen. Das hätte bedeutet, dass wir umdrehen müssten.
Die kurze Eiswand zum Schwarzhorn stiegen wir noch auf. Eisklettern musste man hier nicht wirklich, normes Laufen war es aber genau so wenig, was sich in den Waden bemerkbar machte. Ganz zum Gipfel wollte uns Thomas nicht lassen, da man hier nochmal klettern müsste und der Gipfel etwas überhängt. Mehrere hundert Meter fällt die Wand von dort ins Tal ab, sodass das Schwarzhorn für eher unerfahrene Alpinisten ein etwas riskanteres Unternehmen ist.
Thomas seilte mich vom Schwarzhorn wieder ab, während Andreas, der zweite Teilnehmer, in der Scharte zwischen Schwarzhorn und Ludwigshöhe gewartet hatte. Während Thomas selbst mit dem Abstieg beschäftigt war, fand ich zur Erleichterung aller doch noch meine Gletscherbrille in der Jackentasche - unter der Stirnlampe. Ich bin Mathematikstudent und als solcher etwas verkorkst, was sich hier und da zeigt.
Als letzten Gipfel des Tages bestiegen wir die Ludwigshöhe. Der Anstieg hier hoch war sehr kurz. Die Spur war jedoch mit Graupel aus der vergangenen Nacht gefüllt, sodass diese eher einem Bällebad glich. Wir sanken immer wieder ein und rutschten nach zwei Schritten vorwärts einen wieder zurück. Ansonsten ist die Ludwigshöhe aber meiner Meinung nach ein eher unspektakulärer Gipfel.
Der Himmel über dem Castor brennt
Der Himmel über dem Castor brennt
Wir beschlossen, die Parrotspitze erst am nächsten Tag anzugehen und stiegen wieder zur Capanna Gnifetti ab. Das erwies sich als gute Entscheidung, da es, kaum an der Hütte angekommen, wieder zu schneien und zu gewittern begann. Später am Abend war das Wetter wieder überragend. Vom Dach der Capanna Gnifetti bestaunten wir einen wunderschönen Sonnenuntergang, danach ließen wir den Abend gemütlich im Gastraum der Hütte ausklingen. Dabei gesellten sich unter anderem Felix und Eric, die an der gleichen geführten Tour, jedoch in einer anderen Gruppe, teilnahmen. Da bei uns zwei Plätze frei waren, hätten sich die beiden auch einfach Andreas und mir anschließen können, was aber irgendwie aus organisatorischen Gründen oder ähnlichem nicht ging. Dafür würden wir bestimmt im nächsten Sommer die ein oder andere Tour zusammen gehen.
Am nächsten und vorletzten Tag ging es zunächst auf die Parrotspitze. Über den gleichen Weg, den wir am Tag zuvor noch abgestiegen waren, stiegen wir wieder bis zur Einschartung zwischen Ludwigshöhe und Parrotspitze auf. Von hier ging es weiter bergauf in Richtung Parrotspitze, bis wir an einer kleien Felsstufe ankamen. In kurzer Kletterei war diese schnell überwunden und wir gelangten nun auf den Firngrat, der zum Gipfel der Parrotspitze führt. Der Grat ist nicht besonders lang und mit guter Trittsicherheit kein Problem.
Nach einer kurzen Rast auf der Parrotspitze stiegen wir über die andere Seite des Berges wieder ab. Ein Blick nach rechts zeigte, wei steil und weit die Monte Rosa-Südwand hier abfällt. Im weit unten gelegenen Tal war alles grün, hier oben hingegen natürlich alles weiß.
Parrotspitze
Parrotspitze
Blick nach Süden weit ins Tal
Blick nach Süden weit ins Tal
Liskamm und Matterhorn in der Mitte, ganz links im Hintergrund der Mont Blanc. Links unten der Firngrat der Parrotspitze
Liskamm und Matterhorn in der Mitte, ganz links im Hintergrund der Mont Blanc. Links unten der Firngrat der Parrotspitze
Es folgten die lezten Anstiege der Tour. Zunächst liefen wir auf dem Gletscher weiter bis zum Colle Gnifetti zwischen Zumsteinspitze und Signalkuppe. Hier liesen wir die Rucksäcke stehen, um den Aufstieg zur Zumsteinspitze zu erleichtern. Etwa hundert Höhenmeter waren es noch bis zum Gipfel, die wir zügig hinter uns brachten. Der Anstieg war jedoch recht steil und phasenweise ausgesetzt, sodass man sich auch hier wieder sehr konzentrieren musste. Nach wenigen Minuten erreichten wir den höchsten Punkt unserer Tour. Das Gefühl, den Gipfel auf 4.563 Metern Höhe zu besteigen, war unbeschreiblich, die Aussicht ebenfalls. Nach Osten beeindruckte der Blick ins Tal unter der Ostwand, direkt vor uns erhob sich die Dufourspitze, westlich, ein paar Kilometer entfernt unter anderem Liskamm, Breithorn und Matterhorn.
Nach dem Abstieg zurück zum Colle Gnifetti ging es noch einmal weiter, dieses Mal in die entgegengesetzte Richtung auf die Signalkuppe, das letzte Ziel unserer Tour. Geschafft, aber überglücklich kamen wir oben an. Gut, dass hier oben auch direkt die Hütte lag, auf der wir übernachteten, die Capanna Margherita. Wie eingangs schon erwähnt handelt es sich hierbei um das höchstgelegene Gebäude Europas. Die Aussicht von hier ist ähnlich überwältigend wie auf der Zumsteinspitze.
Die Hütte an sich ist sehr schön und das Essen insgesamt überragend, zumindest abends. Ich bin generell großer Fan der italienischen Küche und befand mich daher die gesamte Woche im kulinarischen Paradies: Jeden Tag Pasta, gute Kuchen, mal Panna Cotta zum Nachtisch, mal Tiramisu. Und direkt nachdem wir am letzten Ziel angekommen waren, hatte ich mir eine Pizza Margherita, passend zum Namen der Hütte, gegönnt.
Die sanitären Anlagen erfüllen im Gegensatz dazu nur Mindeststandards, was auf dieser Höhe nicht überrascht. Fließendes Wasser gibt es hier keines. Daher vermieden wir die Verwendung dieser auch so gut es ging.
Schlafen konnten wir auf der Hütte auch nicht wirklich, der Sauerstoffanteil in der Luft ist auf über 4.500 Metern schon recht niedrig. Man merkte das gut, sobald man sich etwas ausruhen wollte. Beim Kartenspielen im Gastraum hatte ich mit der Höhe noch keine Probleme gehabt. Als dann Felix aber die glorreiche Idee hatte, nach einer langen Tour hier oben an einem Hangboard über der Treppe auch noch einen Wettbewerb zu veranstalten, wer die meisten Klimmzüge schaffe, merkte ich die Höhe doch. Felix ist komplett verrückt und schaffte gleich 17 Klimmzüge, ich war mit meinen fünf Stück schon sehr zufrieden. Allerdings erholte ich mich von der Anstrengung auch eine halbe Stunde nicht mehr.
Auf dem Gipfel der Signalkuppe
Auf dem Gipfel der Signalkuppe
Breithorn (links) und Matterhorn (Mitte)
Breithorn (links) und Matterhorn (Mitte)
Später gab es endlich das ersehnte Abendessen. Danach schauten wir uns noch den Sonnenuntergang an. Es war ziemlich bewölkt, weshalb man von der Sonne selbst eigentlich nicht viel sah, die Stimmung hatte trotzdem etwas. Die Nacht war dagegen aber sternenklar und in Kombination mit der geringen Lichtverschmutzung hier oben war auch das sehr interessant.
Am nächsten Tag entschlossen wir uns, früh abzusteigen. Wir wollten den Aufenthalt hier oben nicht unnötig in die Länge ziehen, zumal wir nach der Nacht wie gerädert beim Frühstück saßen.
Kurz nachdem wir losgingen, ging die Sonne auf. Auch an diesem Tag war die Morgenstimmung wieder atemberaubend, der Mont Blanc leuchtete eindrucksvoll im Morgenrot. Der Abstieg verlief äußerst flott, bergab geht es eben immer deutlich schneller. So waren wir schon früh bei der Punta Indren angekommen und konnten die erste Bahn ins Tal nehmen. Die Tour ließen wir in einem Café im Tal ausklingen. Danach ging es zurück nach Hause.
Nachts auf der Capanna Margherita
Nachts auf der Capanna Margherita
Sonnenuntergang
Sonnenuntergang
Die Wolken verzogen sich immer wieder für kurze Zeit.
Die Wolken verzogen sich immer wieder für kurze Zeit.