Eine der beliebtesten und schönsten Bergtouren in den Allgäuer Alpen ist der Heilbronner Weg. Startend bei der malerisch gelegenen Rappenseehütte überquert man auf dem Weg zur Kemptner Hütte einen großen Teil des Allgäuer Hauptkamms und besteigt dabei den Steinschartenkopf (2.615 m) und den Bockkarkopf (2.609 m). Zusätzlich lassen sich weitere interessante Gipfel einbauen, unter Anderem auch der Große Krottenkopf, mit 2.656 Metern der höchste Berg der Allgäuer Alpen.
Der Heilbronner Weg verläuft durchgehend im Felsgelände, schwierigere oder exponierte Stellen sind mit Stahlseilen gesichert. Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sowie Erfahrung im alpinen Gelände sind für eine Begehung unbedingt erforderlich. Der Heilbronner Weg selbst ist nur ein kurzes Wegstück der gesamten Tour inklusive Auf- und Abstieg zu bzw. von den beiden Hütten. Für koniditionell sehr starke Bergsteiger ist das vollständige Programm als Tagestour möglich, möchte man sich jedoch nicht beeilen, bietet sich mindestens eine Übernachtung auf der einer der Hütten an. Falls zusätzliche Gipfel eingeplant sind, ist auch eine Aufteilung auf drei Tage sinnvoll. Letztere Variante wählten mein Bruder und ich bei unserer Tour.
Mittlerweile habe ich schon alpinistisch interessantere und anspruchsvollere Gipfel bestiegen als die, die man auf dem Heilbronner Weg erklimmen kann. Dennoch ist diese Bergtour nach wie vor eine der schönsten, die ich bisher unternommen habe. Das liegt wohl vor allem daran, dass sich die Allgäuer Alpen um Oberstdorf für mich wie ein zweites Zuhause anfühlen. Hier war ich jahrelang mit meinen Eltern im Urlaub und hier habe ich entsprechend die Berge für mich entdeckt. In keiner anderen Gebirgsgruppe kenne ich mich so gut aus wie hier.
Den ersten Tag nutzten wir dabei nur für den Aufstieg zur Rappenseehütte und begannen damit ganz entspannt gegen Mittag. Für den Zustieg wählten wir die Route über die Enzianhütte. Nach einer kurzen Busfahrt von Oberstdorf aus, starteten wir die Wanderung in der Birgsau im Stillachtal. An dessen Ende spaltet sich die Fahrstraße in zwei Teile auf, wobei der rechte zur Buchraineralpe am Beginn des Rappenalptals führt. Wir nahmen hingegen die linke Abzweigung, über die man nach einem etwa halbstüdnigen ersten knackigen Anstieg Einödsbach erreicht, die südlichste ganzjährlich bewohnte Siedlung Deutschlands. Einödsbach ist bekannt für die Lage unterhalb des Allgäuer Dreigestirns aus Trettachspitze, das Matterhorn des Allgäus, Mädelegabel und Hochfrottspitze. Der Blick auf diese drei Gipfel ist ein erstes Highlight dieser Unternehmung.
Einödsbach mit Blick auf das Dreigestirn
Einödsbach mit Blick auf das Dreigestirn
Enzianhütte
Enzianhütte
Linkerskopf
Linkerskopf
Wir verzichteten auf eine Pause in Einödsbach und gingen direkt weiter. Hinter dem Gasthof in Einödsbach schließt sich ein Forstweg an, der weiter zur Petersalpe führt. Die Wanderung bekommt ab hier einen deutlich alpineren Charakter. Nach einer kurzen Rast bei der Petersalpe wurde es dann auch zunehmend steiler. Durch Wald, später durch Latschenkiefer gewannen wir schnell an Höhenmetern. Immer wieder bot sich hierbei eine schöne Aussicht ins Stillachtal oder auf die Schafalpenköpfe gegenüber. Wenig später erreichten wir die Enzianhütte auf 1.804 Metern Höhe, direkt unterhalb des Linkerskopf. Westlich davon lies sich bereits der Hochrappenkopf mit dem Rappenköpfle erblicken, unterhalb dessen sich auch bereits unser Tagesziel, die Rappenseehütte, benannt nach dem dortgelegenen Rappensee, befand. Nach einer weiteren Pause bei der Enzianhütte gingen wir den restlichen Aufstieg an. Zunächst relativ eben seitlich am Hang entlang, zum Schluss deutlich steiler bergauf, erreichten wir die letzte Kuppe, hinter der schließlich der Rappenseekopf (2.469 m) und Hochrappenkopf (2.428 m) aufragte, zwei Gipfel, die mein Bruder und ich im Jahr zuvor bestiegen hatten. Direkt links von uns stand auch schon die Hütte, wo wir unser Quartier bezogen.
Eigentlich hatten wir geplant, noch am selben Tag das Hohe Licht (2.651 m), zweitöchster Berg der Allgäuer Alpen, zu besteigen, um uns am nächsten Tag den Umweg zu sparen. Allerdings gab es auf diesen Gipfel einen neuen Weg, da der alte wohl zerstört worden war, die Wegmarkierungen waren diesbezüglich aber etwas intransparent – ander gesagt: wir waren zu dumm, alleine den richtigen Weg zu finden, drehten auf halber Strecke um und verschoben die Besteigung dann doch auf den nächsten Tag. Dennoch war es kein Fehler gewesen, die Hütte am Abend nochmal zu verlassen. Der Sonnenuntergang war traumhaft, wie ich sonst in den Bergen noch nicht erlebt habe. Dazu Inversionswetterlage, das heißt, die Wolken sammelten sich unten im Tal, während wir oben auf dem Berg die letzten Sonnenstrahlen einfingen. Die Oberstdorfer nennen dieses Wetterphänomen „Obheiter“.

Am Abend
Am Abend
Sonnenuntergang am Rappensee
Sonnenuntergang am Rappensee
Aufbruch am nächsten Morgen
Aufbruch am nächsten Morgen
In der großen Steinscharte
In der großen Steinscharte
Morgenstimmung am Rappensee
Morgenstimmung am Rappensee
Am nächsten Tag ging es dann früh am Morgen los. Während die Schafalpenköpfe und der Große Widderstein im Nordwesten noch orange im ersten Sonnenlicht strahlten, stiegen wir zur großen Steinscharte zwischen Rotgundspitze und Hochgundspitze auf. Ab hier wechselte das Gelände von Gras und Schrofen zu Fels und Geröll. An diesen ersten Aufstieg schloss sich ein kurzes Stück über ein Kar am Fußes des Hohen Licht an, ehe es über eine größere durch Stahlseile gesicherte Felsstufe, wieder bergauf ging. An einer unscheinbaren Weggabelung konnte man nun entweder nach links zum Beginn des eigentlichen Heilbronner Wegs weitergehen, oder nach rechts zum Hohen Licht abzweigen. Wir wollten diesen Gipfel auf jeden Fall besteigen und nahmen daher den Umweg in Kauf. Der zusätzliche Zeitaufwand belief sich auf etwa eineinhalb Stunden. Um den Gipfel zu erreichen, umläuft man den Berg quasi einmal, um dann auf der Südseite im ersten Sonnenlicht die letzten Höhenmeter zu überwinden. Die Aussicht war bereits hier phänomenal. Direkt südlich erblickte man die Holzgauer Wetterspitze, eine imposante Felsspitze, sehr schwach war auch weiter entfernt die Wildspitze zu sehen. Da wir drei Tage mit bestem Wetter erwischt hatten, über zehn Sonnenstunden und keine Wolken weit und breit sollte es geben, war die Fernsicht überragend. So konnte man auch den 180 km entfernten Tödi in den Glarner Alpen erstaunlich deutlich erkennen.
Nach der kurzen Gipfelrast liefen wir auf dem gleichen Weg zurück zu der besagten Abzweigung und gingen nun in die andere Richtung weiter. Bald erreichten wir ein kleines Felsenfenster, das Heilbronner Törle, das man Richtung Steinschartenkopf durchqueren musste. Diesen bestigen wir wenig später über eine Leiter, die direkt auf den Gipfel führt. Auf 2.615 Metern liegt hier der höchste Punkt des Heilbronner Wegs selbst. Nach diesem führt eine weitere Leiterbrücke zur Socktalscharte. Der nächste Gipfel auf dem Programm war nun der nicht weit entfernte Bockkarkopf. Hierzu stiegen wir zunächst wenige Meter ab. Aus der Scharte heraus ging es dann direkt wieder steil bergauf. Auch hier ist der Weg wieder stark mit Stahlseilen versichert. Bald war der dritte Gipfel erreicht, die Aussicht war ähnlich schön wie auf den beiden zuvor.

Am Beginn des Heilbronner Wegs
Am Beginn des Heilbronner Wegs
Blick auf u.a. Biberkopf (MItte) und Großen Widderstein (rechts)
Blick auf u.a. Biberkopf (MItte) und Großen Widderstein (rechts)
Tödi (Mitte) und rote Wand (rechts)
Tödi (Mitte) und rote Wand (rechts)
Gipfelpanorama vom Hohen Licht
Gipfelpanorama vom Hohen Licht
Blick nach Oberstdorf
Blick nach Oberstdorf
Nach dem Bockkarkopf führt der Weg weiter in schroffem Felsgelände zur Bockkarscharte. Der Heilbronner Weg endet dort bereits. Von dort könnte man nun nach links zum direkt unterhalb liegenden Waltenberger Haus absteigen. Wir hatten allerdings eine Übernachtung auf der Kemptner Hütte reserviert und setzten entsprechend den Weg geradeaus fort. Wir umgingen die Hochfrottspitze südlich über ein Geröllfeld. Danach konnten wir bereits den Schwarzmilzferner unterhalb der Mädelegabel sehen, der letzte Gletscher der Allgäuer Alpen. Oder eher, das, was davon übrig geblieben war. Bereits 2021, als wir diese Tour unternommen hatten, bestand der Gletscher nur noch aus einem kümmerlichen Rest, kaum zu unterscheiden von einem einfachen Schneefeld. Wie er nun, nach zwei sehr heißen Sommern 2022 und 2023 aussieht, kann man sich denken. Bald wird der Gletscher vollständig verschwunden sein.
Wir querten den Schwarzmilzferner bis zum Einstieg des Steigs auf die Mädelegabel (2.645 m). In der Zwischenzeit hatten wir uns mit weiteren Wanderern zusammengeschlossen und wollten auch diesen Gipfel noch besteigen. Die Mädelegabel ist von allen Gipfeln, die wir hier besuchten, wohl der schwierigste. Um sie zu erklimmen, sollte man im zweiten Grad klettern können und absolut schwindelfrei sein – wer diese Voraussetzungen erfüllt, sollte hier aber keine Probleme haben und wird definitiv seinen Spaß haben. Angegeben war für die Besteigung der Mädelegabel eine Stunde, diese Schätzung ist aber ziemlich realitätsfern, etwa 25 Minuten benötigten wir bis zum Gipfel. Der Aufstieg wurde durch eine weitere traumhafte Aussicht belohnt. Direkt vor uns blickten wir auf die Trettachspitze. Im Nordosten beeindruckten unter Anderem die Höfats, die Königin der Grasberge in den Allgäuer Alpen, und der Hochvogel. Für mich persönlich war hiermit der Höhepunkt der Tour erreicht. Schon oft hatte ich das Allgäuer Dreigestirn aus dem Tal aus bestaunt, jetzt stand ich selbst auf einem der drei Gipfel.
Im Anschluss galt es nur noch, zur Kemptner Hütte weiterzugehen. Mittlerweile waren wir allerdings alle ziemlich platt und so zog sich dieses letzte Stück ungemein. Vorbei am dreigipfligen 2.428 Meter hohen Kratzer, kamen wir wieder in einfaches Gehgelände zurück, raus aus dem Fels und Geröll. Und dann tauchte auch endlich die Kemptner Hütte vor uns auf. Ein paar Meter mussten wir noch absteigen, dann hatten wir das Ziel aber auch erreicht.
Den Abend ließen wir gemütlich ausklingen, zunächst auf der Terasse, später in der Hütte beim ein oder anderen Getränk und Kartenspielen. Wir diskutierten, was wir am nächsten Tag noch unternahmen. Zwei unserer Mitwanderer wollten direkt ins Tal absteigen, bei zwei anderen stand noch die Hermann-von-Barth-Hütte auf dem Programm. Da man auf dem Weg dorthin am Großen Krottenkopf vorbei kamen, wollten sie auch diesen Berg noch besteigen. Mein Bruder und ich beschlossen, diesen Gipfel auch noch mitzunehmen und erst dann den Rückweg ins Tal anzutreten.

Mädelegabel mit Schwarzmilzferner
Mädelegabel mit Schwarzmilzferner
das Allgäuer Dreigestirn aus Trettachspitze, Mädelegable, Hochfrottspitze (rechts nach links)
das Allgäuer Dreigestirn aus Trettachspitze, Mädelegable, Hochfrottspitze (rechts nach links)
Der Große Krottenkopf (links)
Der Große Krottenkopf (links)
Am Gipfel des Großen Krottenkopf
Am Gipfel des Großen Krottenkopf
Also starteten wir am nächsten Tag nochmals früh und stiegen zum Mädelejoch auf. Von dort konnten wir den Großen Krottenkopf bereits sehen. Die Route zur Hermann-von-Barth hütte führte direkt durch die Krottenkopfscharte, zu der es vom Mädelejoch steil bergauf ging. Ab dieser Scharte begann dann der Kraxlspaß. Immer im ersten Schwierigkeitsgrad oder schwierigerem Gehgelände machte diese Gipfelbesteigung ähnlich viel Spaß wie die der Mädelegabel. Beide Gipfel sind meiner Meinung nach absolut empfehlenswert und sollte man sich nicht entgehen lassen. Kurz vor dem Gipfel mussten wir eine recht abschüssige Felsplatte überqueren. Diese Stelle ist stark exponiert und nicht gesichert, hier ist Trittsicherheit folglich unerlässlich. Hat man diese letzte Hürde aber überwunden, steht man auf dem höchsten Berg der Allgäuer Alpen. Erneut ließ die Aussicht nichts zu wünschen übrig.
Wieder an der Scharte unten angekommen, verabschiedeten wir uns von den beiden Kollegen und traten den Rückweg zur Kemptner Hütte und von dort den weiteren Abstieg in die Spielmannsau an. Diesen Abschnitt kannte ich bereits aus dem Jahr zuvor, als ich Rauheck, Kreuzeck und Fürschießer bestiegen hatte und von letzterem über die Kemptner Hütte abstieg. Daher wusste ich, dass sich dieser Teil ziehen würde. Im Grunde passierte hier nicht mehr viel, schnell ging es bergab. Zu sehen gab es in der Schlucht, durch die der Weg führt, wenig. Zum Schluss führt der Weg durch ein Waldstück. Hier war man fast schon im Tal und erwartete jederzeit, dass die Tour ein Ende fand. Stattdessen musste man aber noch einiges an horizontaler Entfernung zurücklegen, was angesichts der Anstrengungen der vergangen Tage wenig Freude bereitete. Irgendwann war aber auch dieser letzte Teil geschafft. Ziemlich fertig nahmen wir den nächsten Bus in der Spielmannsau und fuhren zurück nach Oberstdorf.