
Der Falketind liegt malerisch im norwegischen Jotunheimen-Nationalpark, umrahmt von diversen Seen und Gletschern. 1820 war er der erste "alpine" Gipfel, der in Norwegen bestiegen wurde. Das spitz zulaufende Felshorn ist mit seinen 2.067 Metern zwar nicht der allerhöchste Berg, aber dennoch eine nicht zu unterschätzende Herausforderung: Im Gegensatz zu den Alpen, wartet das Jotunheimen-Gebirge nicht mit bestens präparierten, geschweige denn ausgeschilderten Wanderwegen auf. Stattdessen besteht eine Besteigung des Berges fast durchgängig aus weglosem, anspruchsvollem Gelände.
Die Route, die wir für unsere Tour wählten, führte uns zunächst gut 5 km durchs Tal, später steil bergauf bis zum Beginn des Gletschers und anschließend über den luftigen, aber technisch einfachen Westgrat zum Gipfel.
Diese traumhafte Bergtour unternahm ich während meines Auslandssemester in Oslo im September 2025. Dazu schloss ich mich einer Studentenvereinigung an, die regelmäßig Wanderungen, schwierigere Bergtouren oder sonstige Outdooraktivitäten veranstaltet. Außer mir waren noch drei weitere Studenten am Start, mit denen ich mich Freitag morgens in Blindern in Oslo traf, von wo aus es mit dem Auto Richtung Jotunheimen ging. Allein die Autofahrt ist schon ein Erlebnis für sich, da Norwegen landschaftlich einfach unglaublich viel zu bieten hat. Und die Aussichten werden umso spektakulärer, je näher man an den Nationalpark herankommt.
Am Koldedalsvatnet, einer von hunderten Seen im Jotunheimen und unser Fahrtziel, angekommen, verhüllten sich die Berge noch in tiefe Wolken. Dazu kam dann auch noch Regen, doch auch bei diesem Wetter strahlte dieser Ort eine besondere Faszination aus. Um uns herum rauschten gewaltige Gletscherbäche die Hänge hinab in den Koldedalsvatnet mit seinem kräftigen türkisblauen Wasser, weit und breit keine weiteren Menschen zu sehen, nur wilde, fast unberührte Natur. Hier schlugen wir unsere Zelte auf, in denen wir die nächsten zwei Nächte verbringen wollten. Für mich sollte das das erste Mal Camping überhaupt sein, weswegen ich am Freitag noch ungewohnt nervös war.

Falketind und Koldedalsvatnet

Falkbreen

Felsblock am Wegrand
Nach der Einrichtung unseres Lagers und einem kurzen Powernap, machten wir uns für einen kurzen "Walk" auf, wie es unser norwegischer Kollege nannte. Was folgte, war auch nicht großartig anstrengend, aber dann doch etwas anderes als das, was man in Deutschland als Spaziergang bezeichnen würden. Norweger haben da andere Definitionen.
Das Gelände im Jotunheimen-Nationalpark ist, wie anfangs erwähnt, durchaus anspruchsvoll; kaum richtige Wanderwege, wenn doch mal vorhanden, verlieren sie sich schnell wieder in Flechten, Moos oder Blockgelände. Wenn es dann noch ununterbrochen regnet, wird dieser Untergrund besonder schön rutschig, was uns schonmal einen Vorgeschmack auf den nächsten Tag gab. Das Ziel für letzteren, der Falketind, schaute zwischendurch mal durch die Wolken hindurch, hielt sich sonst aber eher bedeckt. Dafür konnte man zumindest von einem ca. 1.500 Meter hohen Hügel die Aussicht auf den Falkebreen, einen eher kleineren Gletscher, oder zumindest dessen Zunge mit wirklich schönem, hellblauen Eis genießen.
So weit, so gut. Arg viel Spektakuläres war an diesem ersten Tag noch nicht passiert. Das Highlight des Wochenendes wartete am Samstag nach einer nicht ganz so erholsamen Nacht im recht kühlen Zelt. Um 7:30 Uhr starteten wir die Besteigung des Falketinds. Zunächst weglos absteigend zum Koldedalsvatnet, ging es anschließend an dessen Ufer entlang und dann über einige Bäche und nahezu sumpfartiges Gebiet. Später wandelt sich der Weg in Blockgelände und Geröll, ehe man am zweiten von drei auf dem Weg liegenden Seen gelangt. Ab hier verliert sich der Pfad wieder regelmäßig, es geht ständig leicht bergauf und bergab - effektiv macht man keine Höhenmeter. Allerdings lässt das Terrain kein normales Gehen zu, sodass die Gelenke schon hier ziemlich beansprucht werden. Also bevor der eigentliche Anstieg beginnt.
Zwischen dem zweiten See, dessen Namen ich nicht kenne, und dem dritten, dem Andrevatnet, gilt es ein Schneefeld zu passieren. In unserem Fall, spät in der Saison, war dieses schon stark zusammengeschmolzen und war so leicht zu begehen. Zu anderen Zeiten können hier Eispickel und Steigeisen sinnvoll sein. Daran anschließend durften wir ein bisschen bergauf kraxeln um direkt danach wieder durch größere Steinbrocken hindurch zum Andrevatnet abzusteigen. Zunächst in dichtem Nebel am Ufer entlang, ging es kurz darauf tatsächlich mal längerfristig bergauf. Hier gab es wieder einige Bäche zu passieren, die alle aus einem größeren Wasserfall entstehen. Dieser wiederum wird von Schmelzwasser des Stølsnosbreen, einem Gletscher auf der Westseite des Falketind, gespeist. An diesem Wasserfall entlang verläuft nun im Grunde auch der weitere Aufstieg, bis man ein kleineres Plateau mit einigen Schneefeldern erreicht. Allerdings verlieren sich auch hier immer wieder die Pfadspuren und so kann man sich seinen Weg durch das ausgesetzte und rutschige Felsgelände wieder selbst suchen. Dabei gilt es, die ersten kürzeren Kletterstellen (I) zu überwinden.



Oben an dem kleineren Plateau angekommen, verzogen sich erstmal die dichten Wolken und man konnte endlich mal die umliegenden Gipfel erkennen. Zugleich bot sich hier auch der erste Blick auf den Gipfel des Falketinds und den Westgrat, über den wir ihn erreichen wollten. Vor dessen Beginn musste noch ein weiteres Schneefeld passiert werden. An dessen Ende ging es dann steil bergauf. Die Felsen in leichter Kletterei aufsteigend, erreicht man schnell den finalen Gipfelgrat. Dieser ist klettertechnisch wiederum nicht schwierig, allerdings ziemlich ausgesetzt. Zur rechten Seite geht es nahezu senkrecht bergab. "Don't fall", war der hilfreiche Tipp eines Kollegen, "and if you fall, fall to the left". Wie immer im hochalpinen, absturzgefährdeten Gelände war also Vorsicht geboten - nicht ganz ungefährlich war hier in erster Linie, dass der Fels auch am Grat stellenweise mit Moos oder Flechten bewachsen und ziemlich rutschig war.
Sonst stellte der Grat aber keine großen Probleme mehr dar, im Gegenteil: Ein bisschen Kraxelei macht immer Spaß. Wenig später hatten wir den Gipfel erreicht und gönnten uns hier erstmal eine ausgiebiege Pause.






Der Abstieg verlief über den fast gleichen Weg wie der Aufstieg, nur mit dem Unterschied, dass wir nicht den über Grat, sondern zunächst über die Nordflanke durch Geröll bis zum Gletscher abstiegen. Auf diesem über den schneebedeckten und spaltenlosen Teil kamen wir sehr schnell voran, solche Schneefelder kann man für gewöhnlich runter joggen - meiner Meinung nach der spaßigste Teil an Hochtouren. Am Ende des Gletschers angekommen, erreicht man wieder den Aufstiegsweg.
Nun passierte aber genau das, was wir absolut nicht gebrauchen konnten: Es fing an zu regnen. Gut, gehört zum Outdoorsport irgendwie dazu. Ist aber doof, wenn man über steile Felsen und wegloses Gelände absteigen muss. Bei Nässe ist das Ganze nicht so einfach und ungefährlich. Daher dauerte der folgende Abstieg bis zum See im Tal eine geführte Ewigkeit. Bei vielen Stellen musste man sich mehrmals überlegen, wie man sie am geschicktesten überwinden konnte, ohne abzurutschen und schneller im Tal zu sein, als einem lieb war. An einer kleineren Kletterstelle löste sich bei mir ein Stein, an dem ich mich eigentlich festhalten wollte. Ich hatte zum Glück einen sicheren Stand, sodass ich hier zwar nicht ins Rutschen kam, aber dann trotzdem nicht so recht wusste, wie ich diese Stelle am besten abklettern sollte.
Ein paar Überlegungen später war dann der ernsthafteste Teil der Tour aber geschafft. Kaum im Tal angekommen, hatte der Regen aufgehört. Super Timing! Wenigstens konnten wir dann aber den Rückweg an den Seen entlang noch bei gutem Wetter genießen.
Nach über zehn Stunden erreichten wir wieder unser Camp. Die Tour hatte mich sehr gefordert, mehr als ich erwartet hatte. Gerade das unliebsame Gelände im Tal war für die Gelenke und Beinmuskeln wirklich anstrengend. Entsprechend entschlossen wir dann auch schnell, am nächsten Tag keine große Tour mehr zu gehen - den Gipfel des Uranostinden konnten wir daher nur von unten bewundern. Wir unternahmen am Sonntag eine kleine Wanderung zum Gletscher am Uranostinden, den Uranosbreen und spazierten eine Weile auf dem unteren, aperen Teil des Gletschers herum.
Die Gletscherzunge des Uranosbreen fließt direkt in einen Gletschersee. Nebenan schließen sich noch weitere Seen an, von denen es hier unzählige gibt, einer schöner als der andere. Landschaftlich gehört diese Gegend wohl zu den eindrucksvollsten, die ich in den Bergen bisher erleben durfte. Vermutlich muss ich mal wieder hier her zurück kommen. Schließlich warten noch einige Gipfel darauf, bestiegen zu werden.

Uranostinden (links) und Uranosbreen. Der See, in den der Gletscher fließt, wird rechts von der Moräne verdeckt.

Falketind
